Beethoven und das chromatisch-absteigende Tetrachord

Dieser Beitrag bespricht ein Beethoven-Werk, das eine im Barock weit verbreitete Basslinie benutzt.

Beethovens 32 Variationen c-moll für Klavier (1806 komponiert, HIER HÖREN) verwendet als Thema praktisch dieselbe Basslinie wie das „Crucifixus“ aus J.S. Bachs H-moll-Messe, das in den 1740er Jahren komponiert wurde, aber auf Bachs Kantate Weinen, Sorgen, Klagen, Zagen von 1714 basiert (HIER HÖREN).  

Beispiel: Thema aus Ludwig van Beethoven, 32 Variationen für Klavier, WoO 80 [meine Zusätze umrandet].

Der Bass wird allerdings anders, nämlich tonal zielgerichteter harmonisiert als bei Bach. Die harmonische Analyse hier verwendet einen bezifferten Bass sowie eine Form der Stufenlehre, wobei die römischen Ziffern sich auf die Akkorde auf der jeweiligen Stufe der c-moll-Tonleiter beziehen.

Wie in Stücken der Klassik üblich, bestärkt der Beginn die Tonart, indem nur die drei Hauptakkordfunktionen verwendet werden, also die Tonika (i), Dominante (V) und Subdominante (iv bzw. IV), sowie zwei Zwischendominanten (in runden Klammern). Diese Zwischendominanten sind jeweils die Dominante (V) des darauffolgenden Akkordes (d.h. der Grundton liegt eine Quinte höher).

Der Akkord in Takt 5 is besonders interessant, weil es eine Art übermäßiger Sextakkord ist (das Intervall zwischen As und Fis ist eine übermäßige Sexte), konkret ein übermäßiger Quintsextakkord, der im englisch-sprachigen Raum auch „German sixth“ (also „deutscher“ Sextakkord) genannt wird. Diese Doppeldominante (also Dominante der Dominante) löst sich, wie erwartet, in die (einfache) Dominante auf, allerdings mit Quartsextvorhalt (6/4), der leicht als Tonika (i) in 2. Umkehrung gelesen werden kann. Allerdings wird der Akkord so nicht wahrgenommen. Der Quartsextvorhalt löst sich, etwas verwirrend vielleicht, erst nach dem Einschub einer Subdominante (iv) auf, und der plötzliche Wechsel ins Unisono lässt einen vergessen, dass Akkorde immer noch impliziert sind.

Das rhythmisch-melodische Profil des Themas – zusammen mit seiner Basslinie – suggeriert eine starke Verbindung zur barocken Chaconne bzw. Passacaglia, was für Beethovens Zeit recht ungewöhnlich scheint und mit seiner Faszination für die Musik Georg Friedrich Händels zu tun haben mag.

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Wenn Sie Interesse an weiteren Stücken haben, die diesen Bass verwenden, dann hören Sie sich doch Werke der folgenden Komponisten bzw. Bands an: Cavalli, Lully, Purcell, Rameau, Led Zeppelin (1), Led Zeppelin (2).

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