Satie und die Allgegenwart seiner „Gymnopédie Nr. 1“ auf Playlists mit „entspannender Klassik“

Ach, DAS Stück! Zu oft gespielt und überbewertet? Sehen wir uns den Anfang dieser revolutionären, ja, REVOLUTIONÄREN Miniatur mal genauer an!

Zunächst einmal, inwelcher Tonart steht das Stück überhaupt? Die Vorzeichen (2 Kreuze) suggerieren D-Dur, aber die Tonika, wenn es denn eine gibt, ist sicherlich G-Dur. Ist die Tonart oder der Modus also G Lydisch? In gewisser Weise ja, aber es gibt wenig Gemeinsamkeiten mit früherer modaler Musik (vor 1650).

Dies passt allerdings gut zur „Wiederbelebung“ von mittelalterlichen und Renaissance-Modi im 19.Jahrhundert, ebenso wie mit der damals neuen Idee, Emotionen und Verlangen so weit wie möglich aus der Musik auszuschließen. Beide Ideen sind verbundendurch ein Missverständnis vortonaler Musik als schwebend und emotionslos, ohne den Aufbau harmonischer Spannung und der darauffolgenden Auflösung, was so grundlegend für das klassisch-romantische Kernrepertoire war (im weitesten Sinne etwa 1700-1900).

In der Tat hat das Verlangen nach Auflösung und die resultierende emotionale Reaktion (häufig in der Musikpsychologie diskutiert) seinen Kern in dem Muster Spannung-Auflösung, das durch den sich in die Tonika auflösenden Dominantseptakkord gegeben ist. Aber in Saties Stück löst sich die große Septim (also nicht Dominantseptim) des ersten Akkordes nicht auf: sie verwandelt sich lediglich in die Terz des folgenden Akkordes, eines weiteren Durseptakkordes, der sich ebenfalls nicht im traditionellen Sinne auflöst, sondern eine Art Pendel mit dem ersten Akkord bildet.

Um diesen Effekt etwas genauer zu erfahren, schauen Sie sich doch das Video (oben) an, wo Saties originalem Stück eine leicht veränderte Fassung folgt, in „gewöhnlichem“ G-Dur und absolut banal im Vergleich! Beide wurden absichtlich mit „emotionslosem“ MIDI eingespielt, um jegliche Interpretationsaspekte der Aufführung zu vermeiden.

Warum also findet man diese Musik so häufig auf Playlists mit „entspannender Klassik“? Ein Grund ist, dass sie nicht die Spannung vermittelt, die typischerweise mit spätromantischer Musik verbunden wird (beispielsweise mit Wagner, Richard Strauss und auch Skriabin). Daher muss dieses Stück auch als revolutionär angesehen werden, da Satie mit der Erste war, der eine solch „emotionslose“ und trotzdem schöne Musik schuf: „L'art pour l'art“ (Kunst um der Kunst Willen).

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